Projektion

Fortsetzung zu "Das Vermeiden der Leere - von David R. Loy"

Unsere Diskussionen über Schuld und Angst müssen durch einige Hinweise auf ihre Objektivierungen ergänzt werden: Projektion und Übertragung. Die scheinbar objektive Welt wird ja unbewußt strukturiert durch die Art und Weise, wie wir uns selbst in dieser Welt zu sichern suchen. Wir treffen erneut auf den bedauerlichen Widerspruch, daß gerade dieser Versuch mich selbst in der Welt zu begründen, mich von der Welt trennt.

In Das Ich und das Es stellt Freud fest, daß das dynamisch unbewußt Unterdrückte nicht fähig ist, auf normalem Wege bewußt zu werden, und er vermutet, daß "alles, was von innen heraus bewußt werden will, versuchen muß, sich selbst in äußere Wahrnehmungen zu verwandeln" (Freud, 1923/1989, S. 12 - 13). Dieses Verständnis wird heute als selbstverständlich angenommen, und obwohl die Art wie Freud dies formuliert auch unsere gewohnte Trennung zwischen Subjekt und Objekts als selbstverständlich hinnimmt, stellen doch die Phänomene auf die er sich bezieht - Projektion und Übertragung - diese Sicht in Frage. Solche Formulierungen setzen voraus, daß der Ort des Unbewußten irgendein Platz in mir ist, und daß die objektive Welt das ist, was sie zu sein scheint, nämlich etwas von mir Getrenntes. Wie die meisten Menschen das immer tun, und wie vielleicht alle Menschen das zu den meisten Zeiten tun, so nimmt auch Freud die Objektivität der Welt als selbstverständlich an - und doch ist das eine gefährliche Annahme angesichts Kant´s kopernikanischer Revolution und den neuesten Entdeckungen der Quantenphysik und der Kognitiven Psychologie. Es ist eben sehr schwierig, sich dieser Annahme bewußt zu werden, wenn wir die Welt auf eine Weise konstituieren, welche die Tatsache verbirgt, daß wir sie konstituiert haben:

Vielleicht ist die allerwirksamste Verteidigung [gegen die Todesangst] einfach die Wirklichkeit, so wie sie erfahren wird - das heißt, die Erscheinung der Dinge ... Erscheinungen treten in den Dienst der Verleugnung: wir konstituieren die Welt auf solche Weise, daß sie unabhängig von unserer Konstitutierung erscheint. Die Welt als eine empirische Welt zu konstituieren, bedeutet sie als etwas von uns selbst Unabhängiges zu konstituieren (Yalom, 1980, S. 222).
[Eine ähnliche Einsicht - daß das Ich nicht nur verdrängt, sondern auch die Tatsache seines Verdrängens verdrängt - war ein Wendepunkt in Freud´s Entwicklung, der seine Untersuchungen vom Wesen des Verdrängten hinführte zur Untersuchung des Verdrängungsprozesses.]

Warum ist dies eine solch wirksame Verteidigung gegen die Angst? Warum vergessen wir, daß wir die Welt (die ja eine soziale Konstruktion ist und die wir lernen so wahrzunehmen wie die Anderen) konstituiert haben? Yalom bringt dies mit einer verdrängten Angst der Grundlosigkeit in Verbindung, die uns versuchen läßt, uns selbst zu sichern, indem wir die Welt, in der wir sind, stabilisieren. Wir verlangen nach einer Welt der verläßlichen, selbst-existierenden Dinge, die in objektiver Zeit und objektivem Raum fixierbar sind und die solcherart wechselwirken, daß wir lernen können sie zu manipulieren. Sobald eine vorhersagbare Welt uns unwillkürlich geworden ist, können wir uns darauf konzentrieren, unsere Ziele innerhalb dieser Welt zu erreichen. Doch gibt es noch einen anderen Grund für dieses "Vergessen", wenn nämlich das Gefühl eines Selbst in dieser Welt gleichzeitig mit dieser Welt konstituiert wird: in diesem Fall kann jener Vorgang der Konstituierung für das Selbst-Bewußtsein nicht zugänglich sein, weil er zugleich die Grundlage des Selbst-Bewußtseins ist. Wenn ich also die Tatsache verdränge, daß meine objektive Welt konstituiert ist, dann verdränge ich damit auch die Tatsache, daß Ich konstituiert bin.

Die Folgerung daraus in Hinblick auf Projektion und Übertragung ist, daß unbewußte Phänomene nicht an irgendeinem unbestimmten mentalen Ort innerhalb von mir gesucht werden müssen, sondern daß sie in den Manifestationen meiner Welt gefunden werden können. Wenn ich also mein Unterbewußtsein finden will, sollte ich mir die Strukturen meiner Welt anschauen, und wenn wir unser kollektives Unterbewußtsein lokalisieren wollen, dann müssen wir die miteinander geteilten Strukturen unserer sozialen Welt betrachten.

Was wirklich [bei der Übertragung] geschieht ist nicht, daß der neurotische Patient Gefühle, die er für seine Mutter oder seinen Vater hatte, nun auf Ehefrau oder Therapeuten "überträgt". Vielmehr ist der neurotische Mensch jemand, der sich in bestimmten Gebieten niemals über die eingeschränkten und begrenzten Formen der Erfahrung, wie sie typisch für das Kleinkind sind, hinausentwickelt hat. Also nimmt er in späteren Jahren die Ehefrau oder den Therapeuten durch die gleiche begrenzte und verzerrte "Brille" wahr, mit der er Vater oder Mutter wahrnahm. Das Problem kann in Begriffen der Wahrnehmung und Beziehung zur Welt verstanden werden (May,1983, S. 154).

Jedoch bedeutet dies nicht, daß die Entwicklung von weniger eingeschränkten Formen der Erfahrung, wie sie typisch für die meisten Erwachsenen sind, eine zufriedenstellende Lösung ist. Die "Pathologie der Normalität" (Fromm) oder die "Psychopathologie des Durchschnitts" (Maslow) sind insofern keine Antwort, als das Kind ja Vater des Mannes ist und wir "durch das Alter vergrößerte" Kinder bleiben. Der Unterschied ist, daß die Welt des Kleinkindes bestimmt ist durch die Welt seiner Eltern, aber wenn wir aufwachsen investieren wir aus unserem Bedürfnis nach Sicherheit heraus in größere soziale Strukturen, die den Wettbewerb um sozial anerkannte Sicherheiten und Statussymbole betonen: Reichtum, Preise, Macht, und so weiter.

Jung beschrieb Projektion als einen Vorgang, der zu einer traumgleichen Erfahrung der Welt führt:

Die Projektion hat die Wirkung, das Subjekt von seiner Umwelt zu isolieren, da nun statt einer realen Beziehung zu ihr nur noch eine illusorische Beziehung besteht. Projektionen verändern die Welt in eine Replikation des eigenen unbekannten Gesichts. In letzter Konsequenz führen sie somit zu einem auto-erotischen oder autistischen Zustand, in dem man sich eine Welt erträumt, deren Realität für immer unerreichbar bleibt (Jung, 1958, S. 8).

Jung bemerkte dazu auch noch, daß Menschen im Prozeß der Individuation ihre Projektionen in sich selbst zurücknehmen.
[Für ein Beispiel, wie unser sozial anerkanntes und scheinbar objektives Zeit-Schema dekonstruiert werden kann zu einem ewigen Jetzt, siehe Loy, D., "Whats Wrong with Being and Time: A Buddhist Critique of Heidegger", Time and Society (1992), vol. 1 no. 2.]
Um die Prinzipien besser zu verstehen, die bei einer solchen De-Projektion von Bedeutung sind, können wir vom fünften Teil von Spinozas Ethik (1677/1982) Nutzen ziehen. Hier diskutiert Spinoza unter der Überschrift "Von der Macht des Intellekts oder Von der Menschlichen Freiheit", wie die Freiheit des Menschen realisiert werden kann. Hier ist seine dritte These: "Eine Emotion, die eine Leidenschaft ist, hört auf eine Leidenschaft zu sein, sobald wir eine klare und deutliche Vorstellung von ihr gewinnen." Leiden wir passiv darunter, wie unser Geist arbeitet oder sind wir "selbst-bestimmt", weil wir verstehen wie er funktioniert? These zwei macht es noch deutlicher, daß dies in psychotherapeutischer Sprechweise der Unterschied ist zwischen einer unbewußten Übertragung / Projektion und dem Bewußtsein dessen, was wir uns selbst antun: "Wenn wir eine Störung des Geistes oder eine Emotion von dem Gedanken einer externen Ursache entfernen und sie mit anderen Gedanken verbinden, dann werden Liebe oder Haß gegen die externe Ursache, ebenso wie die Schwankungen des Geistes, die aus jenen Emotionen entstehen, beseitigt."

Früher in seiner Ethik definiert Spinoza Liebe und Haß als Freude und Schmerz, die jeweils von der Idee einer externen Ursache begleitet sind. Auf ähnliche Weise kann Angst als "Angst, begleitet von der Idee einer externen Ursache" definiert werden und Schuld als "Angst, begleitet von der Idee einer internen Ursache (d.h. aus sich selbst)". Die Lösungen sind jeweils ähnlich: die Aufhebung der Assoziation zwischen der Emotion und ihrer angenommenen externen (oder im Fall von Schuld: introjizierten) Ursache. Gerade dies hatte ich ja weiter oben empfohlen, um rein ontologische Schuld und Angst zu erfahren, unbehindert von jeglicher Projektion oder Introjektion.

Wenn mich etwas an einer Person besonders stört, besteht der psychotherapeutische Ansatz darin, dies als eine Gelegenheit zu benutzen, etwas über mich selbst zu lernen, indem ich untersuche, warum mich dies berührt. Spinoza zeigt auch auf, daß wenn ich psychologisch leide, es ja meine eigenen Wege des Denkens sind, verfremdet und projiziert, die mich in die Klemme gebracht haben. Versuche, mich symbolisch selbst zu real-izieren, bedeuten, daß ich Macht über mich an solche Personen und Situationen abgebe, die jene symbolische Realität bewilligen oder verweigern können, von der ich hoffe, sie werde meinen Mangel füllen.

Spinoza glaubt ebenso wie der Buddhismus daran, daß die wahre Freiheit verwirklicht werden kann, indem wir uns unserer verdrängten und dann projizierten mentalen Vorgänge bewußtwerden. Wenn ich z.B. von bestimmten Philosophen anerkannt werden will, die ich als bedeutend ansehe (meist weil Andere sie als bedeutsam ansehen), dann wird sich dies selbstverständlich auf das Wesen meiner Welt auswirken und auf die Weise, wie ich mich gezwungen fühle, in dieser meiner Welt zu handeln. Spinoza zeigt mir nun, wie ich realisieren kann, daß die Ansichten dieser Philosophen keine Macht über den Zustand meines Geistes haben - daß ja stattdessen ich diesen Personen Macht über mich gebe durch die Weise, wie ich über den Zustand ihres Geistes denke. Indem ich zu einer "klaren und deutlichen Idee" meines Wunsches nach ihrer Zustimmung gelange - dadurch, daß ich mir bewußt werde, anstatt daß ich nur motiviert werde - kann ich meinen Wunsch unterscheiden von meiner Vorstellung dieser Personen ("der Gedanke einer externen Ursache") und stattdessen die Verbindungen zwischen diesem Wunsch und anderen Ideen von mir bemerken, wie etwa mein Wunsch, ein berühmter Denker zu werden ("verbinde es mit anderen Gedanken"). Auf diese Weise kann ich mich von den "Schwankungen des Geistes" befreien, die aus meiner Angst der Bewertung durch Andere und meinem Bedürfnis, von ihnen wertgeschätzt ("geliebt") zu werden, entstehen. Dies heißt nicht, daß ich indifferent den Meinungen Anderer gegenüber werden soll, aber es erlaubt mir doch, in einer mehr selbstbestimmten Weise zu antworten, eher informiert von anderen Ansichten als beeinflußt.

aus:

Loy, D. R. : Das Vermeiden der Leere:
Der Mangel eines Selbst in Psychotherapie und Buddhismus.
Version 1.00h vom 26.06.2001.
-- URL: http://www.mb-schiekel.de/loy8d.htm . -- [Stichwort].