Teilbeitrag zu »Die falsche Identität« von Allen Watson, gechrieben 2001
Als ich Ein Kurs in Wundern zum ersten Mal gelesen habe und mit einigen dunkleren Seiten meines Egos und seines Denksystems konfrontiert wurde, war meine erste instinktive Reaktion »Ich doch nicht!« Als der Kurs mir mitteilte, ich glaubte insgeheim daran, den Sohn Gottes gekreuzigt zu haben (T-13.II.5:1), glaubte ich das nicht. Als er sagte, daß meine besondere Liebesbeziehung in Wahrheit auf Haß gegründet sei (T-16.IV.1:3; 3:4), hatte ich große Probleme, dies auf mich zu beziehen. Als er darauf bestand, daß der größte Teil meines Denkens Ego-bestimmt sei, hatte ich das Gefühl, er müsse über jemand anders reden. Ich doch nicht.
Als ich jedoch mit dem Kurs fortfuhr, empfand ich die Beschreibungen des Ego als immer zutreffender. Kleinere Ereignisse begannen mir zu zeigen, wie gut verborgen das Ego in meinem Leben war. Ich erinnere mich an einen Zeitpunkt, als ein Mitschüler des Kurses versuchte, mich zu überzeugen, daß ich mich absichtlich von einer anderen Person distanzierte. Es dauerte drei oder vier Stunden, aber letzlich erkannte ich, daß er recht hatte. Zunächst war ich aber davon überzeugt, daß ich alles tat, um Nähe zu dieser Person herzustellen, und daß die Distanz zwischen uns der Fehler der anderen Person war. Sogar, als ich mit jemandem konfrontiert wurde, der sehr klar das Verhalten meines Egos verdeutlichte, konnte ich es nicht sehen. Ich wurde sogar sehr ärgerlich darüber! Mein Freund sagte mir später, es sei wie Zähneziehen gewesen, mir das begreiflich zu machen, was allen anderen um mich herum völlig offensichtlich war. Ich hatte das Gefühl, die andere Person hätte mich verletzt, ich war ärgerlich, und auf sehr subtile Weise schloß ich sie aus meinem Leben aus, während ich nach außen hin das Bild eines liebevollen Menschen zeigte. Ich glaubte sogar an dieses Bild. Es war eine sehr schwierige Selbsterkenntnis.
Diese Art Verhalten ist bekannt als Verdrängung, und das unvermeidliche Ergebnis von Verdrängung ist Projektion, wie in der Art und Weise beschrieben, auf die ich der anderen Person die Schuld für die Distanz zwischen uns gab. Der Kurs weiß, wie wir unser eigenes Ego vor unserem Bewußtsein zu verstecken suchen. In Rahmen seiner Erörterung der »Gesetze des Chaos« (die Prinzipien zur Kontrolle des Ego-Denksystems) sagt er:
»Du möchtest behaupten und für wahr halten, daß du diesen sinnlosen Gesetzen weder glaubst noch nach ihnen handelst. Wenn du dir ansiehst, was sie besagen, ist ihnen nicht zu glauben. Bruder, und du glaubst doch an sie.« (T-23.II.18:1-3)
Wir haben die eingefleischte Gewohnheit zu verleugnen, daß unsere Egos existieren. Wir werden über jemanden ärgerlich und kehren es sofort unter den Teppich, uns selbst überzeugend, daß wir nicht mehr ärgerlich sind. Doch der Ärger eitert tief in unserem Geist und vergiftet unsere Beziehung. Verleugnung ist nicht die empfehlenswerte Methode, mit dem Ärger umzugehen. Sie bewirkt immer Projektion. Wir werden unglücklich und geben der anderen Person die Schuld für unser Unglücklichsein, bewußt oder unbewußt.
Manchmal geschieht es, wenn Menschen damit beginnen, ihr Ego zu betrachten, daß sie schockiert sind über das, was sie vorfinden. »Ich kann nicht glauben, daß ich so denke!« Ich erinnere mich, wie ich mich eines Tages selbst bei dem Gedanken erwischte, um wieviel es mir besser ginge, wenn eine bestimmte Person bei einem Flugzeugunglück ums Leben käme. Ich war entsetzt über einen derart lieblosen Gedanken. Ich fragte mich, wie solch ein Gedanke in meinem Geist sein konnte, wo ich doch so ein liebevoller Mensch bin. Dieser Eindruck von Überraschtsein, wenn wir das Ego bei seinem Wirken ertappen, ist der beste Beweis für unsere Verdrängung. Der Mörder war immer da, wir haben ihn nur aus unserem Gesichtsfeld verdrängt.
Einige Menschen gehen sogar so weit zu glauben, sie hätten ihr Ego auf wunderbare Weise überwunden; sie glauben, daß sie nicht länger ein Ego besitzen. Das nahezu untrügliche Zeichen, daß dem nicht so ist, ist die Tatsache, daß sie sich ständig bemüßigt fühlen, jedem davon zu erzählen. Üblicherweise hinterläßt dies einen Nimbus von selbstgefälliger, überlegener Rechtschaffenheit. Das Ego wird nicht über Nacht verschwinden, nur weil wir ihm das befehlen, ebensowenig wie ein Löwe aufgibt, weil wir »Husch!« sagen. Es wird zurückschlagen. Und eine der bevorzugten Verteidigungswaffen des Ego ist die Vorspiegelung, es sei nicht mehr da.
Im Kurs wird ständig gebeten, ehrlich auf unser Ego zu schauen, nach »den Resten der Angst in deinem Geist« (T- 4.III.7:5) Ausschau zu halten und nichts zu verbergen. Er führt aus: »Niemand kann Illusionen entrinnen, wenn er sie nicht ansieht, denn durch Nichthinsehen werden sie geschützt.« (T- 11.V.1:1). Wenn wir verleugnen, daß wir ein Ego (oder eine Ego-Reaktion) haben, glauben wir, daß wir sie so loswerden können. In Wirklichkeit schützen wir das Ego, wenn wir das tun, und stellen sicher, daß wir die Reaktionen des Ego beibehalten.
Ein paradoxes Zeichen für den Fortschritt im Kurs ist gegeben, wenn wir uns aller möglichen bösen, mörderischen, aggressiven Gedanken bewußt werden, Gedanken, die wir vorher nicht wahrhaben wollten. Das Ego versucht natürlich, dich zu überzeugen, daß der Kurs dich schlechter macht anstatt besser, daß er mehr Schlechtes als Gutes bewirken wird, damit du mit dem Kurs aufhörst. Aber das ist es nicht, was wirklich geschieht. Das Ego war immer schon da, nur jetzt, im Licht des Kurses, wird es exponiert. Dies ist gut, nicht schlecht. Wenn es nicht exponiert und betrachtet wird, wie dann willst du jemals dem Ego entkommen?