Es weihnachtet sehr ...

Von Gregor Geißmann


Das Autohaus wünscht schriftlich ein frohes Fest, desgleichen die Bank, und diverse Kunden und Partner rufen sich in Form von Weihnachtskarten in Erinnerung. Die Innenstadt ist durch Glühweinstände, Imbissbuden und einige Geschenkartikelstände flächenmäßig stark verkleinert, der Klangteppich in den Kaufhäusern hat einen einheitlichen Zuschnitt bekommen und ungewöhnlich angenehme Düften wehen plötzlich ausgehend von der Küche durchs ganze Haus.

Same procedure as every year, das Weihnachtsfest naht unaufhaltsam.

Legen wir diese Begleiterscheinung kurz zur Seite und erinnern wir uns an den Auslöser für alle diese Aktivitäten: wir gedenken des Geburtstags eines Menschen, der vor etwa 2000 Jahren geboren wurde und uns durch Wort und Tat zeigte, wer oder was wir in Wahrheit sind. Jeder von uns hat nahezu zwangsläufig eine Beziehung zu diesem Menschen, sei diese ablehnend, gleichgültig, zustimmend oder bereichernd, denn wir leben in einem Kulturkreis, der stark von dem durchdrungen ist, was aus Jesus im Laufe der letzten 2000 Jahre »gemacht« worden ist. Die meisten von uns haben in der Jugend von ihm gehört und ich glaube auch nicht, dass jemand ernsthaft fragt, worum es bei diesem Weihnachtsfest geht.

Jetzt bewege ich mich natürlich auf sehr dünnem Eis, denn unsere unleugbare Beziehung zu diesem Menschen ist zwangsläufig geprägt von einer Fülle an Wertschätzungen und Wertvorstellungen. Der eine oder andere mag sich schon daran stören, dass ich Jesus nur »den Menschen« nenne, und ich weiß, dass bei anderen oft schon die Erwähnung seines Namens Ablehnung in der einen oder anderen Form hervorruft. Aber die besondere Form, die bei dem Einzelnen die Beziehung zu Jesus annimmt, ist gar nicht mein Thema. Daher liegt mir auch nicht daran, irgendeine dieser Formen hervorzuheben oder herabzuwürdigen. Denn alle dieser Formen sind für mich in ihrer Substanz identisch. Jesus hat sich nie um Formen gekümmert.

Ich sehe in ihm (und das ist meine ganz persönliche Form bzw. Meinung) denjenigen, der auf die Lösung aller sogenannten Probleme hingewiesen hat. Darüber könnte man jetzt ein eigenes Buch schreiben, aber ich möchte nur an Hand von zwei Dingen kurz aufzeigen, wie ich das meine. Als Erstes nehme ich die ergänzenden »Gebote«, die Jesus uns gegeben hat:

»Liebe Gott über alles und deinen Nächsten wie dich selbst.«

Wenn ich das wirklich als ein Gebot betrachte im Sinne von »Du sollst ...«, kann es zu einer Quelle von Schuld und Ablehnung werden, denn egal, wie wir es anstellen, es erscheint wie ein undurchführbares Ideal. Es ist tatsächlich »undurchführbar«, wenn wir glauben, dass wir zur vollkommenen Erfüllung dieses Gebotes etwas tun müssen. Ich sehe es eher umgekehrt: es ist für mich ein Hinweis auf eine Tatsache, ein unumstößliches Faktum. Denn wenn ich von DEM, was IST, nicht getrennt bin, dann kann ich DAS, was ich BIN, nur über alles lieben. Das betrifft auch den Nächsten, der von mir nicht getrennt ist und dieselbe QUELLE hat wie ich selbst. Wie könnte ich ihn nicht lieben? Dieses Gebot beschreibt eine Erfahrung, nicht ein (moralisches) Konzept.

Der zweite Punkt betrifft das, was wir die Wunder Jesu nennen. Mir geht es nicht darum, das Wesen dieser Wunder zu beschreiben oder ihre »Wirklichkeit« zu betonen. Das mag jeder für sich entscheiden. Aber ein Prinzip ist mir gerade bei den Heilungswundern aufgefallen. Ihnen ging immer sinngemäß die Frage voraus: »Willst Du geheilt werden?« Niemandem wurde Heilung aufgezwungen. War die Antwort »ja«, war das Wunder vollbracht. Kein Ritual, kein Brimborium, kein Voodoo, kein Zauberspruch. Das Wunder war geschehen. Das Problem war verschwunden.

Verbinde ich diese beiden Dinge, dann ist Weihnachten für mich die Geburtsstunde folgender Botschaft: sehe ich ein Problem, ist es letztlich immer etwas, das von »außen« an mich herangetragen wird. Es kommt aus einem Bereich, den ich nicht kontrollieren kann, der getrennt von mir ist und wird von mir als Problem, als unerwünscht, als Veränderungswunsch bewertet. Eine Vor-Stellung hat DAS, was IST, verschleiert und unsichtbar gemacht. Das beschriebene Gebot Jesu erscheint unmöglich. Nun kann ich aber auf die Stimme hören, die mich fragt: »Willst Du geheilt werden, willst Du das Problem gelöst haben?« Es bleibt nur noch eines: »JA« sagen. Kein Ritual, kein Brimborium, kein Voodoo, kein Zauberspruch. Einfach nur JA. Oder noch etwas damit warten, da ich dem »Problem« mehr Wert beimesse.

Der Heilige Abend war oft ein Abend ungewöhnlicher Stille für mich. Das hatte nichts mit dem Geräuschpegel zu tun, aber auch dieser hatte sich dieser Stille für kurze Augenblicke angepasst. Und in dieser Stille ist es eine wunderbare Erfahrung, einfach nur »JA« zu sagen. Vielleicht probieren Sie es einmal aus.